Nachdem der erste Farm-Job in Stanthorpe sehr unplanmäßig endete, startete eine fast zwei Wochen andauernde Arbeitspause, ehe es wieder regelmäßige Arbeit gab. Insgesamt verbrachte ich diese Zeit mit dem Schreiben von Blogeinträgen, dem Wiederentdecken des Klavierspielens nach einer rund fünfzehn jährigen Pause, dem Fliegen im Flight Simulator und hin und wieder mit tageweisem Arbeiten, um finanziell zumindest die laufenden Kosten decken zu können.
Zeitvertreib mit Tages-Jobs
So ergab es sich, dass ich einen Tag im Männer-Waschraum des Hostels die Wände schrubbte, um mir so eine halbe Woche Miete dazu zu verdienen und diesen harten Tag mit einigen Bleichmittel-Flecken auf meiner Arbeitshose zu verewigen. An zwei Tagen arbeitete ich mit einigen anderen Mitbewohnern auf einer Farm, wo es unsere Aufgabe war, einen Draht durch ein Netz zu flechten, welches im Anschluss als Schutz für die darunter wachsenden Pflanzen in einigen Metern über dem Boden befestigt werden sollte. Insgesamt verrichteten wir diese Tätigkeit an einem Freitag und Samstag für jeweils sieben Stunden (ich wollte eigentlich die vollen 8 Stunden machen, aber die anderen vom Hostel wollten sich die Arbeit auf mehr Tage aufteilen…), ehe wir am folgenden Montag nicht mehr zur Arbeit erscheinen sollten, da wir dem Chef zu langsam wären.
Mir war der ganze Job aus verschiedenen Gründen ein wenig suspekt: Zum einen wurden wir nicht vom Besitzer der Farm bezahlt, sondern von einem Vermittler indischer Wurzeln, der wirklich alle Klischees erfüllte, die man sich an dieser Stelle nur vorstellen konnte. Der Chef der Farm hatte es nicht mal für nötig, sich uns vorzustellen und auch sonst war die menschliche Note hier eher null. Die Mittagspause verbrachten wir im Auto und für eine Toilette hätte man über die halbe Farm fahren müssen, sodass ich um das plötzliche Ende jetzt nicht sonderlich traurig war. Ganz im Gegenteil schätzte ich – trotz der anstrengenden Arbeit – die Erdbeerfarm und die dort existente Organisation nun umso mehr. Von Vorteil war lediglich, dass wir unsere Arbeit in unserem Tempo durchführen konnten und sich eigentlich nur einmal am Tag der Chef samt rechter Hand und ein paar Stunden später der indische Vermittler blicken ließen, um zu schauen wie wir voran kamen und ob wir überhaupt da waren.
Litschi-Bäume pflanzen
Einen Tag, bevor mich Ben aus dem Hostel via WhatsApp mit dem eben beschriebenen unspannenden Job konfrontiert hatte, hatte ich in einer der Facebook-Gruppen mit Backpacker Jobs ein Inserat westlich von Brisbane gefunden, bei dem ein Farmer Hilfe zum Pflanzen von 1.000 Bäumen suchte. Das Inserat war einige Tage ohne wirkliche Rückmeldungen online – vermutlich, weil es in der Nähe kaum Hostel und somit Backpacker gab. Also ergab sich, dass ich dort einen Tag gearbeitet habe. Hier kam es nicht deshalb zum Ende, weil wir in einem Tag alle Bäume gepflanzt hatten. Sondern eher, weil ich nach nicht einmal einem ganzen Tag mangels fehlender Kräfte kapitulieren musste. Aber von Anfang an…
Ich hatte dem Job zugesagt, weil ich mit den 88 Tagen für mein zweites Visum weiter vorankommen wollte. Ich hatte zwar rund einen Monat Puffer bis zur geplanten Thailand-Reise Anfang November, allerdings verstrichen die Tage nichtstuend doch ziemlich schnell, sodass ich mich nach Alternativen umschaute, die auch das Verlassen des Summit Backpackers-Hostels bedeutet hätten, in dem ich mich gerade aufhielt und in dem ich an sich echt glücklich war. Kevin, der den Job inseriert hatte, beschrieb meine Aufgaben ein wenig und meinte, wir wären in der Lage, 100 Bäume am Tag zu pflanzen, womit ich rund zwei Wochen bis zum Start des Frühlings überbrücken könnte, ehe es wieder in direkterer Umgebung des Hostels Jobs gab, für die ich nicht ewig fahren müsste.
Die Farm lag in etwa 70 Kilometer westlich von Brisbane und 185 Kilometer nördlich von meinem Hostel, sodass ich mir für den Job alle Szenarien durchspielte: Ein Hostel in Brisbane scheiterte am Preis und den Parkmöglichkeiten für das Auto, Hostel in der Umgebung habe ich keine gefunden und Airbnbs in der Nähe scheiterten am Preis, sodass ich wahlweise mein Auto ad-hoc zu einem Camper umgebaut hätte oder jeden Tag vom Hostel die 185 Kilometer gefahren wäre, was ich zumindest am ersten/letzten Tag dann auch tat.
Dafür hatte ich mir kurz vor 5 Uhr einen Wecker gestellt und schon am Tag davor ein Frühstück und Mittagessen für die Fahrt vorbereitet, sodass ich kurz nach 5 Uhr noch bei absoluter Dunkelheit und nur wenigen Grad Celsius die knapp zweieinhalb Stunden lange Strecke nach Lowood antrat. Von Warwick aus wählte ich die direkte Strecke über Mount Whitestone, die mit der aufgehenden Sonne so idyllische Szenerien hergab, dass ich des Öfteren für Fotos anhalten wollte. Ich entschied mich aber trotz meines halbstündigen Zeitpuffers dagegen und zwar mit dem Gedanken, ich könne das ja an einem der folgenden Tage machen. Nun ja, aufgrund dieser Denkweise gibt es hier keine Fotos davon…
In der Kleinstadt Lowood angekommen hielt ich an einem Parkplatz mit einer öffentlichen Toilette, um mich ein wenig frisch zu machen und mit Hilfe meines iPads (als Längenmaß) den Kofferraum meines Autos für eine potentielle Matratze auszumessen und eine solche bei K-mart und Co. online zu suchen. Denn mir war nach dieser ersten Fahrt bereits klar, dass ich versuchen wollte, einige Nächte im Auto zu schlafen, da ich mir jetzt schon nicht vorstellen konnte, diese Strecke jeden Tag zu fahren.
Anschließend musste ich die Farm finden, von der ich ein bisschen mehr erwartet hatte als – nichts. Es handelte sich einfach um ein leeres Feld direkt am Brisbane River, auf dem es neben dem nötigsten an Werkzeug zum Pflanzen der Bäume nur hohes Gras weit und breit gab. Nach ein paar Minuten kam auch Kevin zum Feld und wir begannen mit der Arbeit: Er hatte eine Traktorschaufel Kompost geladen und verteilte diesen mit einem Eimer in jedes der bereits in den Vortagen gegrabenen Löchern, die ich in einem Abstand von 1-2 Metern und 40 Löchern a etwa 10 Reihen vorfand. Meine Aufgabe war es anschließend, mit einer Schaufel (ohne Traktor) den Kompost mit der drumherum befindlichen Erde zu vermischen, ehe im Anschluss darauf die eigentlichen Bäume platziert werden sollten.
Ich schätze, gegen 11 Uhr waren knapp 100 Löcher mit einem Kompost-Erde-Mix gefüllt – und ich hatte sicher schon einen Kilo ausgeschwitzt und zwei Blasen an meiner rechten Hand. Denn mir hatte Kevin zwar ein Paar Handschuhe gegeben, die jedoch nicht das gelbe vom Ei waren. Das Ausschwitzen ergab sich primär aus dem Fakt, dass die drumherum liegende Erde steinhart war, ich sowieso nicht der kräftigste war und die Außentemperatur bei strahlend blauem Himmel schon jetzt die 25 Grad-Marke überschritt. Das fand ich insbesondere deshalb interessant, weil es im 190 Kilometer südlich liegenden Stanthorpe allerhöchstens mal 21 Grad waren.
Nach diesen anstregenden drei Stunden hatte ich kurz die Hoffnung, die restliche Tätigkeit würde weniger anstrengend werden. Jedoch musste ich diese Hoffnung ziemlich zügig in einem der noch ungefüllten Löcher begraben, als wir anfingen die Litschi-Bäume zu pflanzen. Denn hierbei holte Kevin immer rund 20 Baumsetzlinge aus einem schwarzen Anhänger auf seine Traktorschaufel und platzierte einen nach dem anderen auf dem vorher von mir angerührten Kompost-Erde-Mix. Dafür musste er jedes Mal eine Folie entfernen, in der sich das Wurzelwerk des Setzlings befand, ohne die nährstoffreiche Erde um die Wurzeln herum zu verlieren. Das ganze Prozedere tat er mit höchster Sorgsamkeit, denn ein Setzling kostet laut ihm rund $30 – kann nach drei Jahren Wachstum aber dafür auch $15 pro Kilo an Ertrag bringen.
Als er den Setzling sorgsam aus der Folie genommen und auf dem Erde-Mix platziert hatte, musste das ganze Konstrukt mit Erde drumherum stabilisert werden. Hierfür musste ich Erde aus der näheren Umgebung an den Baum schaufeln, wobei diese Erde abseits der bereits vorbereiteten Löcher gefühlt noch härter und trockener war, sodass ich auch mit größtmöglichem Körpereinsatz nur schwer die Schaufel in die Mutter Natur reinbekam. Auch eine Mittagspause zur Stärkung änderte an dieser Situation nichts, sodass ich nach in etwa 65 Bäumen kapitulieren musste, als ich mich ins Gras setzte und meinem Körper bei mittlerweile 27 Grad ein wenig Erholung gönnte. Kevin hatte mir derweil meine längst leere 1,25 Liter-Wasserflasche mit Notfall-Wasser aufgefüllt und ich inhalierte das Wasser gefühlt weg, so viel Durst hatte ich. Das Notfall-Wasser war eine 2 Liter-Cola-Flasche, die er im Voraus gefüllt hatte, denn auf dem Farmgelände gab es sonst ja nicht wirklich viel und das Wasser aus dem Schlauch zum Bewässern der Setzlinge war explizit kein Trinkwasser, sodass ich die Sprinkleröffnungen nur nutzte, um mein Gesicht in die Nässe zu halten und mich daran zu erfrischen.
Kevin selbst hatte chinesische Wurzeln und hatte seine IT-Tätigkeit aufgegeben, um als Farmer mehr Geld zu machen und mehr Selbständigkeit zu haben. Er hatte bereits eine Drachenfrucht-Farm erfolgreich am Laufen und lebte seit mittlerweile 12 Jahren in Australien. Sehr gerne hätte ich die 1.000 Bäume noch fertig gepflanzt, da ich ihn sehr nett fand, aber ich wusste, dass ich keinen weiteren Tag überleben würde, zumal an diesem ja noch knapp 40 Bäume ausstanden. Also verabschiedete ich mich – nachdem sich mein Kreislauf nach einer halben Stunde im Gras nach dem Aufstehen wieder gefangen hatte – von ihm nach rund sieben Stunden Arbeit und nutzte das an diesem Tag verdiente Geld und meine eh schon geringe Entfernung zur Zivilisation für einen kurzen Ausflug nach Brisbane.
Nach vier Monaten in der Zivilisation
Denn mein letzter Aufenthalt in einer Großstadt datierte zu diesem Zeitpunkt auf den 28. April und damit bereits fast vier Monate in die Vergangenheit, als mein reparierter Laptop fertig zum Abholen war. Seitdem war ich nur auf der Pekannuss-Farm, in Byron Bay, Coffs Harbour und eben Stanthorpe unterwegs. Mit dem Wissen, dass der Rückweg rund drei Stunden betragen würde und die Sonne gegen 18 Uhr bereits untergegangen war, waren meine Möglichkeiten an Unternehmungen begrenzt – aber ich hatte auch nur ein Ziel: Coco’s Annerley, den internationalen Lebensmittelladen, in welchem ich mich bei den letzten Besuchen mit einigen polnischen Leckereien ausgestattet hatte.
Also ging es von Lowood aus auf die A2/M2, die mich in einer Stunde als A7/M7 direkt vor den Laden brachte, wo ich mich wie schon beim letzten Besuch in den Seitenstraßen und dem chaotischen Verkehr verfahren hatte. Die Fahrt nach Brisbane rein war auf vielen Gefühlsebenen sehr interessant für mich: Zum einen sah ich seit Ewigkeiten wieder Dinge, die ich insbesondere in dem letzten Monat in Stanthorpe einfach gar nicht mehr zu Gesicht bekam und die ich mit dementsprechender Neugierde laut kommentieren musste. Dazu gehörten Sachen wie Flugzeuge, Bahnhöfe, Züge, Verkehrsampeln, stockender Verkehr, aber im Laden und gegenüber davon liegenden Woolworth’s angekommen auch vergleichsweise echt viele Menschen. Um den letztgenannten Supermarkt gab es zudem auch einige Restaurants, wie zum Beispiel das in London von mir lieb gewonnene Nando’s, die diverse Gerüche von sich gaben, sodass sie meine Geruchssinne fast schon überforderten. Insgesamt war ich rund drei Stunden im urbanen Raum Brisbane, doch hatte diese kurze Zeit für eine gewisse Form der Reizüberflutung gereicht, die man in der Kleinstadt und auf dem Land einfach gar nicht hatte – die mir mittlerweile aber auch scheinbar nicht mehr wirklich fehlte, obwohl ich eher der Stadtmensch bin.
Die zweite Gefühlsebene, die während des Kurzbesuchs in mir ein wenig getriggert wurde, betraf den Fakt, dass ich an all diesen Orten – in Brisbane selbst, in dem internationalen Laden, in denen zwischendurch auf dem Highway ausgeschilderten Städten Sunshine Coast und Gold Coast – das letzte Mal nicht alleine war und ich in der Zeit in Coffs Harbour und Stanthorpe ein bisschen das Zeitgefühl dafür verloren habe, wie lange das jetzt alles her ist. Mindestens genauso, wenn nicht sogar ein wenig mehr musste ich mit der Beschilderung zum Brisbane Airport schlucken, da mein letzter direkter Kontakt mit einem Flugzeug zu diesem Zeitpunkt dann auch schon über fünf Monate her war – einen so langen Zeitraum ohne Flugzeugröhre um mich herum hatte ich die Pandemie ausgenommen das letzte Mal um den Jahreswechsel 2016/2017 erlebt, nachdem ich von meiner ersten New York-Reise wieder in Deutschland gelandet bin. Mit dem Wissen, dass es bis zu meinem nächsten Flug auch noch einige Zeit dauern würde, musste ich hier ein wenig mit den Tränen kämpfen.
Und wieder zurück aufs Land
Wieder etwas gesammelt und einen Parkplatz gefunden, deckte ich mich im internationalen Laden mit Bigos, Pierogi und allerlei anderen Leckereien ein, holte mir beim Woolworth’s gegenüber neuen quadratische Brotdosen (wir hatten uns vier in Byron Bay gekauft, die wir uns dann aufgeteilt haben; eine habe ich in Coffs Harbour im Hostel und die zweite irgendwann in Stanthorpe liegen gelassen, dort gab es diese Dosen aber nicht im Supermarkt) und machte mich bei einsetzender Dämmerung wieder zurück ins Nichts.
Der Rückweg war weniger spannend als der Hinweg: die Sonne war recht schnell weg und nachdem ich noch einmal ein paar Cent günstiger den Tank füllen konnte, bestanden die verbleibenden knapp zwei Stunden aus dem dauernden Ein- und Ausschalten des Fernlichts, wenn alle paar Minuten mal ein Fahrzeug entgegen kam. Glücklicherweise hatte ich keinerlei Tiere erwischt oder gar gesehen und kam mehr als nur kaputt um kurz vor 21 Uhr im Hostel an, wo ich mir nach einer wohltuenden Dusche glücklicherweise keine Gedanken um das Mittagessen für den folgenden Arbeitstag beim Netz flechten machen musste, da ich noch einen vorbereiteten Salat hatte. So endete damit ein sehr cooler Tagesausflug, nachdem ich nun erzählen kann, ich habe mal Bäume gepflanzt. Hätte mich Ben während des Pflanzens nicht irgendwann mit dem am Ende nur zwei Tage andauernden Netzflecht-Job angeschrieben, hätte ich mich wahrscheinlich versucht, irgendwie doch durch die 1.000 Bäume durchzuquälen – aber ich war froh, dass ich es nicht tun musste…
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